Zum Ende des Schuljahres – ihrem letzten in der Grundschule – werden die SechstklässlerInnen darum gebeten, für das Jahrbuch auf ihre Zeit in der BBS zurückzublicken. In ein paar Zeilen haben fast alle SchülerInnen ihr Bedauern über die nahende Trennung von vielen ihrer FreundInnen, von ihren LehrerInnen und ErzieherInnen, ihren Klassen – sogar vom Gebäude in der Weinstraße, das die meisten von ihnen seit der ersten Klassen beherbergt – geäußert. In den Zeilen der SechstklässlerInnen fand ich eine Aussage, die mich aufgrund ihrer Schlichtheit und ihrer Erkenntnis besonders ergriffen hat:
»Ich liebe diese Schule dafür, dass sie mir die Möglichkeit gibt, ich selbst sein zu können.«
Ja, das ist genau das, was wir für unsere SchülerInnen sein wollen – eine Schule, in der alle Kinder – wie wir im Schullied singen »of all races, faces and places« sie selbst sein können, in der es o.k. ist, klug und gut in Mathe zu sein oder an einem Read-a-thon teilzunehmen und wo man das Wort »Streber« nie im Zusammenhang mit Lernen hört.
Eine Schule, in der die SchülerInnen, die es etwas schwerer mit dem Lernstoff haben, nicht gehänselt werden, in der Jungs Kleider tragen können, und deine Drittklässlerin eine Badehose für Jungs zum Schwimmunterricht anziehen kann. Wo eine Mutter anmerkt, dass sie während Chanukka gerne die Menora im Schaukasten der Lobby sieht, damit ihre Tochter sich ihren jüdischen Wurzeln nahe fühlen kann, obwohl die Familie nicht religiös ist. Wo ein Junge aus der Sekundarschule sein Coming Out vor seinen Klassenkameraden hat und es keine große Sache ist. In der über ein Kind, das stottert oder ein anderes, das nicht groß genug ist, die Türklinke zu erreichen, nicht gelacht wird. Wo es nicht nur einen »hautfarbenen« Buntstift gibt, sondern viele. Wo Familien aus zwei Müttern oder vier Elternteilen oder nur einer Mutter oder einem Vater bestehen können.
Die BBS ist mitnichten eine perfekte Welt! Auch wir haben unseren Anteil an achtlosen Bemerkungen oder wurden Zeug/innen von Aktionen mit dem Vorsatz, jemandem wehzutun. Unseren, wie auch allen anderen Kindern, muss beigebracht werden – beharrlich, erfindungsreich und durch Beispiele – wie man respektvoll miteinander umgeht und Teil einer mannigfaltigen Gemeinschaft sein kann. Tatsächlich haben wir in den letzten Monaten verschiedene Gruppen – darunter die Lehrer/innen, Hortmitarbeiter/innen sowie die Support Focus Gruppe – das Thema Vielfalt innerhalb der Schule diskutiert.
Als ein Ergebnis aus den Diskussionen zwischen den Eltern entstand eine Elternpartnerschaftsgruppe. Der Hort hat uns für den Deutschen Diversity-Tag registriert. Ein Resultat aus dem Mitarbeiter/innentag der Grundschule war eine Kalender mit Ferien uns Feiertagen aus verschiedenen Traditionen, die die Mitarbeiter/innen im nächsten Schuljahr berücksichtigen und die sie gegebenenfalls auch feiern wollen. Ein weiteres Ergebnis des Mitarbeiter/innentages ist ein Entwurf eines Statements zur Vielfalt:
»In der Berlin Bilingual School pflegen wir einen engagierten, respektvollen und inklusiven Umgang, der die Vielfältigkeit der Welt widerspiegelt. Wir sind eine Gemeinschaft, bestehend aus Schüler/innen, Mitarbeiter/innen und Familien, die unsere Gemeinsamkeiten zelebriert, während sie gleichzeitig unsere Unterschiede ehrt. Wir fördern in unserer Gemeinschaft durch offene Dialoge, Erfahrung und den Lehrplan ein tiefes Verständnis sowie Akzeptanz füreinander.«
Auf den ersten Blick klingt dieses Statement – welches noch in Bearbeitung ist – wie jedes andere auch. Und doch denke ich an den Entstehungsprozess dieser Zeilen, in dem jedes Wort mit Bedacht gewählt wurde, um dem Status quo Beachtung zu schenken, aber auch unserer Hoffnung für die Zukunft. Vielfalt beschreibt, wer wir wirklich sind, während wir die Gestaltung einer engagierten, respektvollen Lernumgebung als Teil unserer Verantwortung als Pädagog/innen sehen.
Unsere Gemeinsamkeiten haben uns an dieser Schule zusammengebracht. Und was unsere Unterschiede anbelangt – wollen wir da Toleranz? Nein, wir wollen weiter gehen! Toleranz ist die grundsätzlichste Form des Miteinanders. Wir wollen unsere Unterschiede annehmen und ehren – so dass wir zu einem tiefen Verständnis füreinander gelangen. Die BBS-Reise kann nach sechs Jahren vorbei sein, sie kann aber auch dreizehn Jahre dauern. Wie lange die Erfahrung auch immer sein wird, ich kann mir kein besseres Ergebnis einer Schulbildung vorstellen, als Absolventen, die ihr volles Potential entfalten können, weil sie sie selbst sein durften.
Cornelia Donner, Schulleiterin | Erstveröffentlichung des Beitrags: Newsletter der BBS Juli 2016