Am 1. November 1991 wurde das Nachbarschaftshaus Pfefferberg gegründet. Ich war dabei, bei dieser Grundsteinlegung für das heutige Stadtteilzentrum Prenzlauer Berg.
Zum Jubiläum am 1. November 2021 war eine kleine Gesprächsrunde geplant, um an die Anfangszeit zu erinnern. Der Personenkreis aus dieser Zeit ist an einer Hand abzuzählen. Die Menschen, denen Dank gebührt, weil sie 1991 der Senatsförderung zustimmten, kann ich nicht mehr finden. Herrn Wabelhorst zum Beispiel. Auch Herbert Scherer, der damalige Geschäftsführer des VskA[1], der uns all die Jahre eng verbunden blieb, ist wenige Tage vor dem verabredeten Termin gestorben. Die Trauer über den Verlust dieses wichtigen Weggefährten hat das Jubiläum verdrängt. Jetzt, einige Monate darauf und im Zusammenhang mit meinem Abschied, möchte ich auf diese 30 Jahre zurückblicken.
Gründung und Aufbau
Die Anfangsjahre waren geprägt von der Erfahrung eines grundlegenden Umbruchs für uns Menschen aus Ostberlin. Erklärtes Ziel war, auf dem Pfefferberg-Gelände eine neue „Kulturfabrik“ aufzubauen, bei der gleichermaßen soziale, kulturelle und handwerkliche Organisationen und Projekte miteinander kooperieren. Das Nachbarschaftshaus sollte einen wesentlichen Platz als sozial-kulturelle Einrichtung auf dem Pfefferberg erhalten. Durch die komplexen Eigentumsverhältnisse gingen diese Pläne nur teilweise und an anderen Orten in Berlin auf.
Die anfängliche Senatsförderung für das Nachbarschaftshaus 1991 betraf nur die Miet- und Einrichtungskosten für den ersten Standort im Erdgeschoß in der Christinenstraße 22. Ab Juli 1992 wurden auch Personalkosten bewilligt. Im Laufe der Jahre gab es mehrere Personalwechsel. Nur Conny Weiland ist fast so lange dabei wie ich und sie wird mit all ihren Erfahrungen hoffentlich noch ein paar Jahre bleiben. Andere Schwerpunkte kamen durch äußere Bedingungen dazu oder wurden von weiteren Kolleg*innen eingebracht und weiterentwickelt. So haben wir dieses Angebot im Haus der Bevölkerungsstruktur entsprechend weiterentwickelt und viele familienunterstützende Projekte und Freizeitkurse für Familien mit Kindern ins Haus geholt.
Schwerpunkte im Wandel der Zeit
Am Anfang waren Arbeitslosigkeit, Kränkung und Herabwürdigung, aber auch eigenbestimmtes Gestalten, optimistischer Aufbruch und schnelles Lernen unsere Themen. Es war noch nicht abzusehen, wie sich der Stadtteil weiterentwickelt. Die wichtigsten Zielgruppen der ersten Jahre waren die Älteren im Stadtteil, die „kinderreichen“ Familien und die arbeitslos gewordenen Menschen.
Zahlreiche ältere und betagte Menschen bevölkerten die Parkbänke. Kleine Kinder stromerten unbeaufsichtigt durch die Straßen. Für diese Kinder gründeten Kolleg*innen das KiZi (Kinderzimmer) als Anlaufstelle an, wo sie Mittagessen bekamen, gemeinsam gekocht, gespielt und gelernt wurde. Von Beginn an war einer unserer engsten Kooperationspartner die Bürgerinitiative am Teutoburger Platz, kurz B.I. genannt.
Als ausgewiesenes Sanierungsgebiet war es notwendig, die Folgen der Modernisierung für die Bewohner*innen so weit mitzugestalten, dass möglichst viele bezahlbare Wohnungen erhalten bleiben. Im Nachhinein ist ein wellenförmiges Verdrängungsmuster zu erkennen.
Von einem Ostberliner Altbauviertel mit viel Potential und Freiraum an städtischer Umgestaltung kam es zu einer neuen zahlenmäßig großen Bewohnerschaft von jungen kreativen Gruppen, viele mit Westberliner Erfahrungen im Gepäck. Alternative Wohnprojekte entstanden, alternativ im Sinne von weniger gewinnorientierten, sondern eher solidarischen Gemeinschaften. Heute haben wir schön sanierte Altbauten, die attraktiv für eine neue weltgewandte Bewohnerschaft mit gehobenen Ansprüchen an Lebensstil und Image sind.
Aus der B.I. ist der Verein Leute-am-Teute hervorgegangen. Das KiZi ist inzwischen Teil der Jugendhilfe des BA im Mühlenkiez. Auch wir hatten unsere Fühler im Mühlenkiez ausgesteckt, aber zu der Zeit gab es noch andere aktive Organisationen dort. Erst mit der Gründung der KulturMarkHalle und unserem Projekt „Mehr als willkommen“ haben wir eine stärkere Präsenz im Mühlenkiez bewirkt, die jetzt durch das mobile Stadtteilzentrum mit seinem Projekt „Hallo Mühlenkiez“ fest verankert wird.
Vernetzung und Kooperationen
Der Pfefferwerk Stadtkultur e.V. unternahm 1996 eine Aufgabenteilung. Der Verein behielt die kulturellen und künstlerischen Projekte in seiner Trägerschaft und übertrug das Nachbarschaftshaus als eine soziale Einrichtung seiner Tochter, der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH.
Auf unseren Umzug aus den viel zu kleinen Räumen in der Christinenstraße in die Fehrbelliner Straße 92 folgte die Gründung des Stadtteilzentrums am Teutoburger Platz. Das geschah im Verbund mit der Selbsthilfekontaktstelle des HVD (Humanistischer Verband Deutschlands). Fortan bildeten die oberste und die unterste Etage das Stadtteilzentrum als ein öffentlich zugängliches Haus mit vielen Gruppenräumen, einer Gemeinschaftsküche und großen Terrassen. In der mittleren Etage wechselten die Einrichtungen, die in der Regel einen inhaltlichen Bezug zur Stadtteilarbeit hatten. Besonders mit dem „Projektebüro Dialog der Generationen“ ergaben sich viele Überschneidungen. Auch die eine befristete Zeit lang eingemietete Anlauf- und Beratungsstelle ehemaliger Heimkinder war für den Publikumsverkehr offen. In beiden Einrichtungen habe ich gern mitgearbeitet.
Nach zwölfjähriger erfolgreicher Kooperation am gemeinsamen Standort verlagerte der HVD seine Selbsthilfekontaktstelle schrittweise in das 2009 gegründete Stadtteilzentrum Pankow. Bis auf einen Raum für Selbsthilfegruppentreffen des HVD ist der öffentliche Bereich für die Stadtteilbewohner*innen seitdem leider fast nur noch auf unsere Räumlichkeiten beschränkt.
Letztendlich ergab sich eine bezirkliche Dreiteilung der Stadtteilzentren. Das Freizeithaus hat sich den Untertitel Stadtteilzentrum Weißensee zugelegt und wir haben uns entsprechend im März 2020 in Stadtteilzentrum Prenzlauer Berg umbenannt.
Die erfolgreichsten Ideen und Projekte
Platzcafé und Spielstraße
Angefangen haben wir mit einem einfachen Stand auf dem Teutoburger Platz. Wir bauten einfach einen Tisch auf dem Teutoburger Platz auf und boten Kaffee und selbstgemachte Obsttorte an. Bald hatten wir eine Gruppe mehrerer älterer Damen und zweier Herren als Stammgäste, die uns gern in die warmen Räume folgten, als es im Freien zu kalt wurde. Andere Gruppen folgten.
Heute sind wir immer noch im öffentlichen Raum präsent. Wir gehören auch zu den Initiator*innen der Spielstraßen. Nach langjährigen Befragungen und Auseinandersetzungen ist die Templiner Straße jetzt in den Sommermonaten regelmäßig belebt mit Akteur*innen, die sich daran beteiligen und natürlich mit vielen munteren spielenden Kindern, die sich ein Stück Straße zurückerobern.
Werkstatt als Methode sozialer Arbeit
Die Idee, die Keramikwerkstatt als Methode sozial-kultureller Arbeit einzusetzen, hat sich auch all die Jahre bewährt. Die Gemeinschaft und das Gestalten in den Vordergrund zu stellen und Eigenleistung als Bedingung aufzustellen, hat vielen Nutzer*innen Partizipation ermöglicht. Ich habe immer mal wieder Weiterbildungskurse für Pfefferwerk-Mitarbeiter*innen gegeben und Artikel über die Arbeit in der Keramikwerkstatt geschrieben.
Nachhaltigkeit
Ein Tauschring war eine von Nachbar*innen selbstorganisiere Form von Nachbarschaftshilfe, bis sich eine neue Idee aufblühte. Commons war das neue Stichwort, Gemeingut. Es ging um gemeinschaftlichen Besitz und selbstorganisierte Wertstoffkreisläufe. Der Leihladen *Leila belebte ab 2015 unser Souterrain als eines der nachhaltigsten Projekte, mit denen wir eng kooperierten. Es gab einen Fundus an Gebrauchsgegenständen, von Nachbar*innen angelegt und ständig erweitert, die ausgeliehen werden konnten. Ein belebender Nebeneffekt war der unmittelbare Tausch von Kleidung und Dingen. Es sollte bewusster, nachhaltiger und ökologischer gelebt werden. Schlussendlich quollen die Räume über vor lauter Dingen und Leuten. Der Leihladen war sehr gut für unser Haus, mitunter aber auch grenzwertig, was Hygiene und Brandschutz betraf. Am Ende musste der Leihladen dem Eigeninteresse der Pfefferwerk Stadtkultur nach bezahlbaren Lern- und Büroräumen für Kolleg*innen eines Ausbildungsprojektes weichen.
Repair Café
Neben einer Veranstaltungsreihe zu ökologischen und nachhaltigen Themen, kristallisierte sich 2011 ein ehrenamtliches Team heraus, das ein sehr nachgefragtes Repair Café aufbaute, noch bevor sich viele weitere in Berlin etablierten. Auch hier kam eine Veränderung in Gang, die sich allmählich vollzog. Ein großes Berliner Netzwerk entstand mit dem wir im Erfahrungsaustausch getreten sind. Inzwischen werden zum größten Teil nur noch Reparaturen elektronischer Geräte nachgefragt, was die Ehrenamtlichen überfordert, sodass wir uns wieder auf unsere Aufgabe konzentrieren, eine offene Werkstatt für handwerkliche Reparaturen zu haben. In dieser Form sind wir weiterhin Teil des Reparatur-Netzwerkes.
Geschichte des Hauses
Die Fehrbelliner Straße 92 war ein Jüdisches Kinderheim. Ich bin über all die Jahre in die Gedenkkultur des Hauses hineingewachsen. Viele Projekte unter Einbeziehung ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen, Einrichtung eines umfangreichen Archivs zur Geschichte des Hauses und seit 2007 die alljährliche Beteiligung am Tag des Offenen Denkmals gehören in diesen Arbeitsbereich. Darüber habe ich schon wiederholt im PW-Newsletter berichtet.
Demokratieförderung
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ war 2007 eine berlinweite Initiative des DPWV, an der wir uns in Kooperation mit der Netzwerkstelle mit einer Gesprächsreihe beteiligt haben. Die Abschlussveranstaltung im Pankower Rathaus mit Matthias Köhne war unsere erste Erfahrung, von einer rechten Gruppe gestört zu werden. Es war der Personenkreis, der sich gegen den Bau der Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde formiert hatte.
Es hat uns alarmiert und mehr Zivilcourage abverlangt. Eine gute Erfahrung an solidarischer Gemeinschaft machten wir mit dem Flüchtlingsstrom und der Gründung von Unterstützungskeisen rund um die Notunterkünfte. Es war eine Phase eines größeren Einvernehmens im Stadtteil: Wir wollen in einer solidarischen Gemeinschaft leben, zusammen gestalten mit den Geflüchteten und nicht über ihre Köpfe hinweg. Wir haben in den letzten Jahren mit der Sprungbrettförderung ein erfolgreiches Unterstützungsprogamm für geflüchtete Kinder in den Gemeinschaftsunterkünften aufgebaut. Die Kinder erhalten durch vielfältige Angebote von Naturerlebnissen, Spiel und Bewegung notwendige Förderung.
Galerie F92
Die Galerie F92 brachte bis jetzt viele Jahre lang etwas Glamour in unser Haus. Als soziale Einrichtung ist es nicht einfach, Kunst zu finanzieren. Die Kulturförderung steht sozialen Einrichtungen nicht zur Verfügung und die Förderung von sozialen Einrichtungen sieht keinerlei Kunst vor. Dennoch ist es uns allen gelungen, eine Galerie für bemerkenswerte DDR-Künstler*innen und auch für junge Kunstschaffende aus dem Stadtteil und darüber hinaus für Dokumentationen gesellschaftskritischer Initiativen und für Wanderausstellungen mit einem aktuellen Bezug zu betreiben.
Befragungen
Befragungen der Stadtteilbewohnerschaft waren immer wieder notwendig zur Einbeziehung aller bei der Gestaltung unseres Profils. Beginnend bei einer ersten offenen Befragung an unserem Stand auf dem Teute, über eine Spendensammlung, mit der wir mit der versiegelten Spendenbüchse von Haus zu Haus zogen, um uns auch vorzustellen und Bedürfnisse abzufragen, bis hin zu einer umfangreichen aktivierenden Befragung. Die Steigerung an Befragungen war 1917/18 der Bilderwettbewerb zum Thema Nachbarschaft – Was ist für dich Nachbarschaft?
Für mich war es das gelungenste Projekt. Es beteiligten sich Künstler*innen und Laien gleichberechtigt an der Ausstellung, ebenso Kinder und Nutzer*innengruppen des Hauses. Auch syrische Künstler*innen haben wir mit unserem Aufruf erreicht. Für die Gewinne sind wir in ganz Prenzlauer Berg fündig geworden, sei es Besteigungen von Kirchtürmen, Gutscheine für Kurse oder Gratis-Frühstück wie im „Lass und Freunde bleiben“. Aus diesem Projekt sind weitere Projekte hervorgegangen. Leider kam es durch Personalwechsel zu keiner Dokumentation. Wir haben nur einen kurzen Artikel im Newsletter des VskA veröffentlichen können, der mit den Arbeiten des Bilderwettbewerbs ausgestaltet worden ist.
Dann kam die Zeit, in der aktive Nutzer*innen mit innovativen Ideen durch Corona ausgebremst worden sind und wir herausgefordert waren, die Angebote anzupassen und die Kontakte aufrecht zu erhalte. Aber das ist eine Zeit, die hier alle kennen.
Übergang und Abschied
Zum Abschluss zeige ich in einer Ausstellung meine Arbeiten, mit denen ich ursprünglich angetreten bin, um auf dem Pfefferberg das erträumte sozialkulturelles Zentrum mit zu gestalten. Jetzt möchte ich wieder an die künstlerischen Arbeiten anknüpfen
Ich bin dankbar für die erfüllten Arbeitsjahre und all den Wegbegleiter*innen, Nutzer*innen und Unterstützer*innen. Und natürlich allen Pfefferwerk-Kolleg*innen mit denen ich viel zu tun hatte. Allen voran den Kolleg*innen der Kita Oase, in der ich in den letzten 5 Jahren mitgearbeitet habe.
Das Stadtteilzentrum hat immer wieder Projekte gehabt, die aus den verschiedensten Gründen ein Ende fanden. Aber immer wieder sind neue Initiativen aufgeblüht. Ich wünsche den jungen Kolleg*innen und all den Nachfolgenden Alles Gute!
Susanne Besch, April 2022
[1] VskA e.V. – Verband für sozial-kulturelle Arbeit, der Fach-Verband für Nachbarschaftshäuser und Stadtteilzentren